Iris Fleischhauer
Geboren in Weimar. Lebt in Schalkau/ Südthüringen.
Klassenstufen: 10. Klasse, 5. Klasse, 6. Klasse, 7. Klasse, 8. Klasse, 9. Klasse, Oberstufe
Themen: Angebot Schreibwerkstätten, Regionales und Heimat, Zeitgeschichte
Elemente/Werkstätten: Werkstatt: Schreiben
Kontaktdaten
Anschrift: Feuerteich 3, 96528 Schalkau
Telefon: (036766) 21679
E-Mail: iris.fleischhauer@t-online.de
Themenangebot
Schreibwerkstätten für alle Altersstufen und Schularten
Klassenstufen 5-8: Vom Umgang miteinander (Mobbing, Freundschaft)
Klassenstufen 10-12:
- Das Leben in Weimar zur Zeit der Weimarer Republik anhand von Biografien, das – – Leben während des Nationalsozialismus
- Ost-West-Problematik, Vergangenheitsbewältigung
- Geschichte Thüringens
- Die Zeit der Weimarer Klassik an ausgewählten Themen (Begegnung mit Goethe und Wieland)
Bibliographie
„Tom und Tara“, Anthologie „Wer will schon in den Süden“, Illustration Dorothee Eva Herrmann, Hg. FBK für Thüringen e.V., Verlag Tasten & Typen, Bad Tabarz, 2021.
„Die Wasser der Ilm“ Rhino-Verlag 2019.
„Die Wasser der Ilm“, iatros-Verlag 2018.
„Unterwegs in Göllheim und Umgebung“, iatros-Verlag, 2107.
„So ist das Leben“ Ein Lesebuch (Pseudonym Ella Anders), iatros-Verlag, 2016.
„LichtBlicke – Gespräche mit bemerkenswerten Frauen“, iatros-Verlag, 2016.
Leseprobe
„Die Fremde“
Sie musste nur zwei Minuten warten, bis der Schulbus kam. Gestern waren es noch vier Minuten gewesen. Und davor war es deutlich länger.
Nur zwei Minuten, dachte Katrin und freute sich.
Langsam gewöhnte sie sich an den neuen Schulweg.
Sie stieg die drei Stufen bis zum Fahrer hoch und hielt diesem ihre Monatskarte hin, die in einem Plastikbeutelchen sicher verwahrt war.
Ein Kopfnicken bedeutete ihr, weiter zu laufen.
Dann setzte der Bus seine Fahrt fort.
Katrin ging auf einen der freien Plätze zu, der ganz in ihrer Nähe war. In dem Augenblick aber, als sie sich setzten wollte, stellte jemand seine Tasche auf den Platz.
Ganz kurz zuckte Katrin zusammen und sah zu dem Mädchen auf, das dort saß.
Sie kannte es, es saß in der Klasse genau hinter hier. Ein breites Grinsen kam als Reaktion auf ihr fragendes Gesicht.
Katrin wandte sich ab und ließ ihre Blicke durch den Bus schweifen. Weiter hinten konnte sie einen freien Sitzplatz ausmachen.
Auf diesen steuerte sie jetzt zu.
Aber noch bevor sie einen weiteren Schritt tun konnte, stürzte sie; ein Fuß hatte sich ihr in den Weg gestellt.
Die neue Schultasche mit den rosafarbenen Einhörnern schlug hart auf ihrem Rücken auf.
„Gehfehler!“, hörte sie jemanden rufen. Vereinzeltes Lachen.
Katrin rappelte sich auf, strich ihre Jacke glatt. Sie ging einen Schritt weiter und stand urplötzlich vor einer Schultasche, die Augenblicke zuvor dort noch nicht gestanden hatte. Sie fiel, schlug hart mit dem Kopf auf dem Boden auf. Blieb liegen.
Sie spürte Tritte gegen ihre Tasche. Dann allgemeines Klatschen, das immer lauter wurde.
„Tritt zu“, hörte sie jemanden rufen.
„Gib´s ihr!“, höhnte eine andere Stimme.
Irgendwie rappelte sie sich auf, als sie von hinten einen Stoß erhielt. Katrin konnte das Gleichgewicht nicht halten, schwankte.
„Schau mal!“, hörte sie eine Stimme hinter sich.Und ein metallener Ton drang undeutlich an ihr Ohr. Sie kannte diese Stimme. Sie gehörte zu Markus. Der war auch in ihrer Klasse. Und das Geräusch gehörte zu einem Messer. Einem Klappmesser. Nur undeutliche Signale kamen von ihrem Unterbewusstsein herauf. Messerscharfen Blitzen gleich. Sie wankte noch immer. Es war ihr, als entfernten sich alle: Die Stimmen, die Menschen…
„Ilmwanderung“
(Goethe, Ilmenau)
…
Ich stelle mir vor, wie es gewesen ist, als Goethe ein Jahr vor seinem Tode noch einmal hier war. Als er hier stand, wo ich jetzt stehe. Ein erfülltes Leben lag hinter ihm; er hatte viel gearbeitet und viel erreicht. Jetzt konnte er sein ganzes Leben überschauen. Ilmenau und der Kickelhahn sind ihm nicht egal gewesen, er wollte beide noch einmal sehen. Und dann hat er sich hier nach oben fahren lassen, bat den Kutscher kurz vor dem Ziel anzuhalten, damit er, der 81jährige Goethe, die letzten Schritte alleine laufen konnte. Wie in jungen Jahren. In seiner typischen etwas nach vorne gebeugten Haltung, die Arme vielleicht auf dem Rücken verschränkt, ist er forschen Schrittes zu der Stelle geschritten, von der aus er die Stadt Ilmenau gut sehen konnte. Den Blick in die Weite gerichtet hat er ausgerufen: „Herrlich! Herrlich!“ Und dann haben ihn wohl doch die Emotionen übermannt. Mit einer leichten Handbewegung hat er seine Tränen hinweg gewischt. Und dann hat er der vielen Erlebnisse gedacht, die für ihn mit diesem Ort verbunden waren: Allem voran wird es die Erinnerung an Carl August gewesen sein, an den Freund, den Vertrauten, den Herzog. Erst im Alter hatte diese tiefe Freundschaft einige Risse bekommen; die Achtung und Wertschätzung des jeweils anderen verband sie aber bis zu ihrem Tode. Beide waren sie starke und charismatische Persönlichkeiten, die den anderen für ihr eigenes Fortkommen brauchten, in ihm in gewisser Weise auch den Rivalen sahen. Sich verantwortungsvoll in solch hohen gesellschaftlichen Kreisen wie dem Weimarer Hof und dem Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach zu bewegen und mit Macht umgehen zu können, war nicht so einfach. Es ist Abend gewesen. Der Rauch der Meiler verschmolz mit dem aufkommenden Nebel. Ruhe legte sich über alles. Langsam verloren sich auch die letzten Geräusche in der heraufziehenden Nacht. Nur vereinzelt schien es, als bewege sich etwas im Geäst. Vielleicht ein vom Abendwind bewegter Zweig, der Vogelschlag eines Nachtvogels oder ein herabfallendes Blatt.
Ja und dann kamen die Gedanken…
Wie Goethe bei seinem letzten Besuch hier oben laufe ich die wenigen Meter hinab zu dem kleinen Häuschen. Diese Hütte, eigentlich ein kleines Forstschutzhaus, das 1740 von Herzog Ernst August, dem Großvater von Carl August, errichtet wurde, diente den Jägern der Umgebung als Unterkunft bei Regen und war Beobachtungspunkt für das Wild. In seiner Jugend hatte Goethe hier des Öfteren übernachtet, um seine Wanderungen oder Ausritte am kommenden Morgen, in aller Frühe, fortsetzen zu können. In diese Hütte zog es ihn jetzt. Nach dem ersten Moment des Innehaltens oben auf dem Berg hat es ihn zu dem kleinen Gedicht gedrängt, das er 50 Jahre zuvor hier oben verfasst und an die Innenwand der kleinen Hütte geschrieben hatte. Seine Gedanken von damals, die wollte er jetzt lesen und zwar genau dort, wohin er sie geschrieben hatte. Es war die Gedanken, die ihm oben auf dem höchsten Punkt des Kickelhahns gekommen waren. Vor nun schon so langer Zeit. Seit dem hatte sich dieses Gedicht in Deutschland schnell verbreitet, durch verschiedene Menschen in unterschiedlichen Formulierungen. Er selbst veröffentlichte es erst 35 Jahre später in einer Werkausgabe. Vergaß er es all die Jahre über? Gewiss nicht.
In dem Augenblick, am 6. September 1780, als ihm diese Gedanken gekommen waren, wusste er bereits von deren Genialität, er ahnte, dass ihm mit diesen Zeilen eine Meisterleistung gelungen war.
Damals flüchtete er aus der Betriebsamkeit des Hofes, aus dem Gewirr von Verpflichtungen und der Verantwortung den Bergbau, den Wegebau und das Steuerwesen betreffend, auch im Empfinden der unerfüllten Liebe, die ihm von Charlotte von Stein, der um viele Jahre älteren Freundin, entgegenschlug, hierher.
Und im Augenblick des sich Besinnens, des Betrachtens, des Wahrnehmens der ihn umgebenden Natur, blitzte in ihm das Bild auf, das den Einklang aller Dinge beschreibt, die Verbundenheit der belebten und unbelebten Natur mit dem Menschen, die tiefe Weisheit, die allem Sein zugrunde liegt. Es beschreibt auch, dass es immer wieder die uns umgebende Natur ist, die uns zur Ruhe kommen lässt: Sie nimmt uns in sich auf und führt uns zu uns selbst zurück. Sie lässt uns bei uns ankommen.
Obgleich er Papier und Stift zur Hand hatte, schrieb er jene Verse an die Bretterwand der kleinen Schutzhütte.
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.
(Wieland, Oßmannstedt)
…
Ebenso flink war sie wieder zurück. „Wer ist diese Sophie Brentano?“, rief sie noch im Gehen, dann setzte sie sich neben mich auf die Bank. Große dunkle Kinderaugen sahen mich fragend von der Seite her an. Ich überlegte einen Moment, welcher Teil der Geschichte für ihre Ohren geeignet ist. „Erzähl mir alles!“, strahlte sie mich an, als wenn sie Gedanken lesen könnte.
Der kleine Hund hatte es sich zu ihren Füßen gemütlich gemacht und seinen Kopf auf die Vorderpfoten gelegt. Er ruhte sich scheinbar zufrieden mit der Welt aus. „Wie heißt du eigentlich?“, diese letzte Frage hielt ich für unbedingt notwendig. Immerhin musste ich wissen, mit wem ich hier sprach. „Paula“, kam die Antwort. „Also Paula“, begann ich, nach Worten ringend, „Sophie Brentano war ein junges Mädchen von gerade einmal 24 Jahren, als sie starb. Paula schwieg. Sie fragte nicht nach dem Warum und Weshalb, sie wusste, dass ich all das erzählen würde. „Die Sophie, die dort neben Wieland liegt und die später Sophie Brentano heißen wird, wuchs in Frankfurt auf, in einer großen Handelsstadt und sie hatte noch viele Geschwister. Wir dürfen sie nicht mit der Sophie La Roche verwechseln, von der ich dir auch noch erzählen werde, die aber viel, viel älter ist. Sie war die Großmutter unserer Sophie Brentano. Also, in der Zeit, als sie lebte, das ist jetzt etwa 200 Jahre her, war es nicht üblich, dass ein Mädchen zur Schule ging. Und so lernte unsere Sophie, was man als zukünftige Hausfrau, denn das würde sie werden, können muss. Da auch die Medizin noch längst nicht so weit entwickelt war, wie heute, verlor sie durch eine Krankheit ein Auge und bedeckte die leere Augenhöhle mit einer kleinen schwarzen Klappe.
„Oh, wie schrecklich!“, warf Paula ein. „Da muss sie ja komisch ausgesehen haben, wie ein Pirat!“
„Sophie muss ein wunderschönes Mädchen gewesen sein. Alle Menschen, die mit ihr zutun hatten, haben gesagt, dass sie selten ein so bezauberndes und gut aussehendes Kind gesehen hätten. Als sie dann älter war, haben sich natürlich auch die Männer nach der schönen Sophie umgesehen. Sehr bald verliebte sie sich in einen jungen Mann und auch er hätte sie all zu gern geheiratet, allein, er kam aus ärmlichen Verhältnissen. Er beteuerte ihr neben seiner Liebe immer wieder, dass er sie gerne heiraten würde, aber keine Familie ernähren könne.
Auf der anderen Seite gab es da einen wohl gebildeten und auch vermögenden Jüngling, der in ihrem Elternhause ein und aus ging. Je öfter er kam, um so mehr mochte Sophie ihn. Er schien das zu spüren und wirkte nicht abgeneigt, sie zu heiraten. So verging die Zeit. Die Mutter starb plötzlich und Sophie hatte alle Hände voll zu tun, im Haus und im Garten: Sie musste die Aufgaben ihrer Mutter jetzt selbst übernehmen. Dann heirateten einige Geschwister und zogen fort. Und auch hier musste Sophie helfen. Neben all der Arbeit sehnte sie sich immer nach einem Menschen, der für sie da war, der sie liebte, aber die beiden Liebesverhältnisse klärten sich nicht. Der eine Mann konnte sie nicht heiraten und der andere, ja… Es stellte sich heraus, dass dieser Mann nur ein Spiel mit ihr gespielt hatte. Niemals hatte er vor, sie zu heiraten; für ihn war die Beziehung nur ein Spaß, eine Komödie.„Was ist das, eine Komödie?“ Paulas Beine hielten in dem Moment, in dem diese Frage über sie kam, kurzzeitig inne, dann schlenkerten sie vergnügt weiter.
Eine Komödie ist eine lustige Geschichte“, erklärte ich kurz, „ein Theaterstück, über das die Zuschauer lachen können.“ „Das ist aber sehr gemein von ihm“, Paula wirkte jetzt leicht betroffen.
„Ja, Sophie war auch sehr traurig. Eines Tages dann erhielt sie von ihrer Großmutter, der berühmten Schriftstellerin Sophie La Roche die Möglichkeit, mit ihr gemeinsam hierher nach Oßmannstedt zu reisen.“ „Von der hast du vorhin schon erzählt. Warum hieß diese Frau denn auch Sophie?“ Was für ein kluges Kind, dachte ich. „Interessanterweise hießen in dieser Familie mehrere Frauen Sophie. Früher war es so, dass man die Mädchen nach der Mutter oder der Großmutter benannte, die Jungen dann natürlich nach dem Vaters oder Großvater. Damit wollte man sie ehren und in Erinnerung behalten. Diese Sophie La Roche, die Großmutter unserer Sophie Brentano nun, war Wielands Jugendliebe gewesen. Die beiden hatten einander sehr gemocht. Bestimmt hatten sie sich damals auch geschworen, einander zu heiraten, sie waren noch recht jung. Und doch entschieden sie sich dann anders. Wieland heiratete Anna Dorothea, die dort im Grab neben ihm liegt. Aber Sophie und er waren all die Jahre über Freunde geblieben. Und weil sie sehr weit entfernt lebten, haben sie sich gegenseitig Briefe geschrieben, in denen sie einander von Neuigkeiten berichteten: von den Erfolgen beim Schreiben, von den Geburten der Kinder und Enkelkinder und auch persönliche Sorgen teilten sie einander mit. Sie schrieben über alles. Und nachdem Sophie La Roche ihren Freund Wieland nun 30 Jahre lang nicht gesehen hatte, beschloss sie, diesen zu besuchen und ihre Enkelin, Sophie Brentano, mitzunehmen. …